12-Jul-2019 --
English
12-Jul-2019 -- Im Backofen
Wir sagen Tschüss Tien Shan in Kirgistan, rasen ein Stück über die neue Seiden-Autobahn in Kasachstan, bevor wir im Freilichtmuseum Khiva wieder in die alte Seidenstraßen-Pracht eintauchen. Die Folgen der sowjetischen Wasserwirtschaft erfahren wir am Grund des Aralsees in Usbekistan. Getrackt und gegrillt am Tor zur Hölle cruisen wir durch die absurde Leere in Ashgabat Turkmenistan, stürzen uns ins Getümmel lebendiger persischer Hochkultur im Iran und treffen alte Bekannte in den rauhen Landschaften von Armenien. Dies ist die Fortsetzung von 44°N 57°E.
„Sollte es irgendwann ein Armageddon geben, werden die Menschen in Karakalpakistan die einzig Überlebenden sein, weil sie schon gelernt haben mit der Katastrophe zu leben.“ Den Umwelt-Aktivisten Yusup Kamalov ärgert, dass die Sowjetunion von Anfang an in Kauf genommen hat, den Aralsee mit der generalstabsmäßigen Baumwoll-Bewässerung aus den Zuflüssen Amu- und Syrdarja auszutrocknen. Die Sovjet-Wasserbeamten zitierten häufig ihren Klimatologen Aleksandr Voeikov, der den Aralsee als „nutzlosen Verdampfer“ und „Fehler der Natur“ bezeichnete. [1]
Die Katastrophen der Gegend haben wir in den vorhergehenden Konfluenzen beschrieben. Eins der wahnwitzigen Großprojekte des „Großen Stalinschen Plans zur Umgestaltung der Natur“ fehlt noch: Die Sowjets wollten eine Katastrophe mit der nächsten heilen. Um neue elektrische Energiequellen zu erschließen hatte der Wasserbauingenieur Mitrofan Mihailowitsch Dawidow die Idee, die großen Wasserläufe der vereisten sibirischen Tundren in die Zentralasiatischen Wüsten umzulenken. Er wollte Ob und Irtysch so hoch aufstauen, dass das Wasser des Ob rückwärts fließen würde. Der Dawydow-Plan sah vor, „Atombombenexplosionen für die Volkswirtschaft“ zu nutzen um einen Tunnel in die Turgai-Höhen zu sprengen und damit das Wasser zum Aralsee umleiten. In Zentralasien wollte man ein Gebiet sechsmal so groß wie Ägypten auf Mittelmeerklima umstellen. Der Planet hatte Glück. Nachdem jahrzehntelange Planungen bereits riesige Summen verschlungen hatten und gerade die ersten Sprengungen begonnen hatten, ging der Sowjetunion das Geld aus. Michael Gorbatschow stoppte das Projekt 1986. Das Armageddon bleibt bis auf weiteres den Menschen in Karakalpakistan vorbehalten.
Einen kleinen Vorgeschmack dazu eröffnet die Fahrt zur Konfluenz. An Jasliq vorbei fahren wir auf der Transitroute Südsüdost Richtung Kungrad. Kurz nach dem Bahnhof Kirikkiz (ehm. Aksholak), wo die Straße einen großen Bogen Richtung Osten macht, verlassen wir den Teer. Eine Piste bringt uns über den Wall der Gas-Pipeline, die hier parallel zur Straße verläuft. In der Nachmittagshitze dengeln wir über 20 Kilometer auf einer holprigen Schweinepiste schnurgerade Richtung Südwest über das Ustjurt-Plateau. Die Piste ist wie in der Sahara hin und wieder mit Betonpfosten markiert. Je nachdem welches Spurenbündel man erwischt, landet man am Ende ähnlich - wie am Morgen - mehr oder weniger direkt bei der Konfluenz. Dieses Mal hoppeln wir von unserer Spur im rechten Winkel 500 m nach Nordwest um den Nuller-Tanz mit dem Toyo zu meistern. Dabei stellen wir fest, dass ein anderes dickes Spurenbündel nur 200 m südlich an der Konfluenz vorbeiführt. Das nehmen wir später für die Rückfahrt.
In den Karten ist Richtung Südwest das temporäre Feuchtgebiet Chimboy Lake eingezeichnet. Neugierig wollen wir dem im wahrsten Sinn des Wortes auf den Grund gehen. Schon auf der Fahrt zur Konfluenz waren wir eine kleine Geländestufe hinuntergefahren. Wenn das Thermometer einen Wert über 41 °C zeigt, wird jede kleine Temperatur-Erhöhung unerträglicher. So brachten die nur knapp 10 Höhenmeter abwärts auch eine kleine aber spürbar unangenehme Temperaturerhöhung mit sich. Auf dem Weg in Richtung der Salzpfanne wird es nun mit jedem Kilometer wärmer. Nach zirka 7 Kilometer erreichen wir eine weitere tiefere Geländestruktur. Mittlerweile sind es 44,8 °C im Innenraum während der Außensensor 46,2 °C zeigt. Zum Fotografieren eines rostigen Wegweisers muss der Navigator das Fahrzeug verlassen. Die Hitze ist so unerträglich, dass die Neugier leider besiegt wird. Wir kehren um.
Zurück auf der Teerstraße gibt es noch einmal einen Blick auf die Tschink im Sakseulsay Tal. Darüber erhebt sich hier die neue Perspektive für Karakalpakistan: Der Uz-Kor (Ustjurt) Gas Chemie Komplex (UGCC). In der, über mehrere Anlagen verteilten Produktion (siehe 45°N 58°E ) wird das Gas aus dem Surgil Gasfeld direkt vor Ort weiterverarbeitet. Das Joint Venture von usbekischen und südkoreanischen Firmen wurde 2016 eingeweiht und produziert Polypropylen und (high-density) Polyethylen [2]. Laut einem Gutachten aus dem Jahr 2012 erhofft man sich durch flankierende Programme der Asian Development Bank und der nationalen Strategien für Wasser-Management und Bewässerungs-Entwicklung nicht nur einen Anstieg der Einkommen für die Region Karakalpakistan. Durch Exporte könnten Mittel erwirtschaftet werden, die es ermöglichen in veraltete Bewässerungssysteme am Amu Darya zu investieren und insgesamt den Wasserbedarf der Landwirtschaft zu verringen, so dass am Ende vielleicht sogar der Aralsee zurückkehrt und sich die Umweltprobleme verringern [3]. Eine Hoffnung, für deren Realisierung sich Wasser-Wissenschaftler wie Yusup Kamalov einsetzen.
Faktenblatt:
- Name: Backofen
- Abstand zur Spuren: 203 m (21,9 km Strasse)
- Nächster erreichter Punkt: 0 m
- Genauigkeit: 3 m
- Topographie: flach auf dem Ustjurt-Plateau
- Wetterlage: 46,2 °C, Schleierwolken
- Meereshöhe: 124 m
- Lokale Uhrzeit: 16:08 (GPS zeigt noch ULAT Zentral-Mongolische Zeit)
- Zeit zum Erreichen: 56 min
- Strecke zum Erreichen: 22,7 km
- Zeit insgesamt: 2 h 42 min (inkl. 42 min Ausflug zur Senke)
- Umweg insgesamt: 58,5 km (inkl. 13,4 km Ausflug zur Senke)
- offroad: 58,5 km (57,6 km Piste oder Spuren, 900 m offroad)
- zu Fuß: 0 m
Fortsetzung bei 42°N 59°E.
Weitere Reiseberichte unter www.afritracks.de.
English
12-Jul-2019 -- Living in the oven
We say goodbye to Tien Shan in Kyrgyzstan, rush along silk highway in Kazakhstan, before we dive into the old splendor of silk road at open-air museum Khiva. We experience the consequences of the Soviet water management at the bottom of the Aral Sea in Uzbekistan. Tracked and grilled at Gate to Hell, we cruise through the absurd emptiness of Ashgabat Turkmenistan, plunge into lively Persian high culture of Iran and meet old friends in the rugged landscapes of Armenia. This continues the story of 44°N 57°E
"If we ever have Armageddon, the people of Karakalpakstan are the only ones who will survive, because we are already living it." Environmental activist Yusup Kamalov is angered by the fact that the Soviet Union knew from the beginning that the Aral Sea would dry up by their cotton irrigation carried out with military precision and impact on the tributaries Amu and Syr Darya. Soviet water officials frequently quoted their climatologist Aleksandr Voeikov, who called the Aral Sea a "useless evaporator" and "mistake of nature". [1]
We have described the disasters of the area in previous confluences. One of the insane large-scale projects of Stalin's "Great Plan for the Transformation of Nature" is still missing: the Soviets wanted to cure one disaster with the next. In order to open up new sources of electrical energy, the hydraulic engineer Mitrofan Mihailovich Davydov had the idea of diverting the great watercourses of the frozen Siberian tundra into the Central Asian deserts. He wanted to dam up Ob and Irtysh so high that the water of the Ob would flow backwards. The Northern River Reversal plan intend using "nuclear explosions for the national economy" to blow up a tunnel into the Turgay Plateau and thus divert the water to the Aral Sea. In Central Asia, they wanted to convert an area six times the size of Egypt to a Mediterranean climate. The planet was lucky. After decades of planning had already swallowed up huge sums of money and the first blasting had just begun, the Soviet Union ran out of money. Michael Gorbachev stopped the project in 1986. For the time being, Armageddon remains reserved to the people of Karakalpakistan.
The drive to the confluence gives us a small foretaste of this. We pass Jasliq on the transit route towards Kungrad south-southeast. Shortly after Kyrkkyz (uz. Qirqqiz, formerly Oqsho’laq) station, where the road bends eastwards, we leave the tar. A dirt road takes us over the gas pipeline dam running parallel to the road. In the heat of the afternoon, we jolt over the Ustjurt plateau on a bumpy track straight southwest about 20 kilometres. The track is marked by concrete poles from time to time, just like in the Sahara. Depending on which bundle of tracks you take, you end up more or less directly at the confluence, just like in the morning. This time we hop off our track at a right angle 500 m into northwest to master the zero dance with the Toyo. Doing so we cross another thick bundle of tracks leads past the confluence just 200 m in distance. We take that later for the return trip.
The maps show a temporary wetland called Chimboy Lake to the southwest. Curious, we want to get to the bottom of it in the truest sense of the word. Already on the drive to the confluence we had descend a small terrain step. When the thermometer shows a value above 41 °C, every little temperature rise becomes more unbearable. So, the barely 10 metres of altitude decrease also brought a small but noticeably uncomfortable increase in temperature. On the way towards the salt pan, it now gets warmer with every kilometre. After about 7 kilometres we reach another descend. By now it's 44.8 °C inside while the outside sensor shows 46.2 °C. To photograph a rusty signpost, the navigator has to leave the vehicle. The heat is so unbearable that curiosity is unfortunately defeated. We turn back.
Back on the tarred road, there is another view of the Chink at Sakseulsay valley. Above the new perspective for Karakalpakstan rise: the Uz-Kor (Ustjurt) Gas Chemical Complex (UGCC). The production facility spread over several plants (see 45°N 58°E) and allows to processes gas from Surgil gas field directly on site. The joint venture of Uzbek and South Korean companies was inaugurated in 2016 and produces polypropylene and (high-density) polyethylene [2]. According to an expert report from 2012, it is hoped the huge complex will not only increase income of Karakalpakstan region. By accompanying programmes of Asian Development Bank and the national strategies for water management and irrigation development exports could generate funds that would make it possible to invest in outdated irrigation systems at Amu Darya and reduce the overall demand for water in agriculture. In the end perhaps environmental problems will be reduced and maybe waters of Aral Sea will return [3]. Water scientists like Yusup Kamalov are working to realise a dream like this.
CP Visit Details:
- Nickname: camel grazing
- Distance to track: 203 m (21,9 km to road)
- Distance according to GPS: 0 m
- Accuracy: 3 m
- Topography: flat high plain of Ustyurt Plateau
- Weather: 46,2 °C, cirrostratus
- Altitude: 124 m
- Local time: 16:08 (GPS shows ULAT Central Mongolian Time)
- Time to reach: 56 min
- Distance to reach: 22,7 km
- Time: 2 h 42 min (incl. 42 min excursion to depression)
- Detour: 58,5 km (incl. 13,4 km excursion to depression)
- offroad: 58,5 km (57,6 km on tracks, 900 m offroad)
- walking: 0 m
Continued at 42°N 59°E.
Further trip reports you can find at www.afritracks.net or www.afritracks.de.
[1] dt.: Zentralasien - Es war einmal ein See, Mark Synnott / Carolyn Drake, National Geographic Magazine, 2015, DE, https://www.nationalgeographic.de/umwelt/zentralasien-es-war-einmal-ein-see | eng: Sins of the Aral Sea Mark Synnott / Carolyn Drake, National Geographic Magazine, 2015, US, https://www.nationalgeographic.com/magazine/2015/06/vanishing-aral-sea-kazakhstan-uzbekistan
[2] Major gas chemical complex commissioned in Uzbekistan, Karakalpakstan Blog, 2016, https://karakalpak-karakalpakstan.blogspot.com/2016/06/major-gas-chemical-complex-commissioned.html
[3] UZB: Surgil Natural Gas Chemicals, Social Safeguards Audit Report, January 2012 https://www.adb.org/sites/default/files/project-document/60114/44944-01-uzb-sa.pdf